Wir vs. Ihr

Am 21. Januar diesen Jahres feierte die Hessen-Oi-League sich selbst in Lich bei einem Konzert mit regionalen Bands. Kurz drauf spielte ein ähnliches Lineup – um einige überregionale Bands ergänzt – in Neunkirchen (Schwalm-Eder-Kreis) im Sägewerk“. Am 26. April 2014 legten sie in Lich mit einer Party nach.

Seit geraumer Zeit bildet sich eine neue Grauzone-Szene in Mittelhessen. Rund um die Hessen-Oi-League sammeln sich (Ex-)Neonazis aus Mittelhessen. In Lich traten neben den rund um Grünberg und Mücke ansässigen Deutschrock-Bands Extrem Unangenehm und Roial Asses4 ausser Rand und Band aus dem Main Kinzig Kreis auf. Eingeleitet wurde der Abend von der Metal-Punk-Band Torturbitch.

Auf dem Flyer fand sich außer der Werbung auch der Hinweis „Politics Fuck Off“. Die Szene würde gerne als unpolitisch gelten. Vor allem aber will sie Neonazivorwürfe von vorneherein zurückweisen. Einige Personen sind oder waren jedoch in lokale neonazistische Strukturen eingebunden. Die Konzerte ziehen gleichzeitig auch ein Publikum an, das sich weder an der Anwesenheit der (Ex-)Neonazis stört noch ihnen und ihrer Ideologie gegenüber abgeneigt ist, aber auch nicht Teil fester Strukturen ist: die sogenannte Grauzone.

Aber warum dann der Rückzug, Ausstieg, Umstieg?

Von einem Ausstieg kann bei keinem der ProtagonistInnen die Rede sein. Zwar wird gerne vorgeschoben, man wolle vor allem mit linken, aber eben auch rechten „Extremen“ nichts zu tun haben. Die Realität sieht jedoch bisweilen anders aus. Statt ernsthaft mit dem rechten Weltbild zu brechen, versuchen die ProtagonistInnen, sich nicht mehr angreifbar zu machen. Am einfachsten scheint dies, indem sie sich als unpolitische Skinheads bezeichnen, die nur ihren „Way of Life“ leben wollen. Im Klartext bedeutet dies aber nur: „Lasst mich in Ruhe mein Ding machen, ich lass mir von niemandem was vorschreiben, die Extremisten wollen uns nur ihre Meinung diktieren, ob ich politisch bin entscheide ich und sonst niemand.“

Außerdem versuchen sie sich als Rebellen zu inszenieren, allerdings ohne jegliche Rebellion. Die ganze Welt steht ihnen feindlich gegenüber, aber sie halten zusammen und könnten jederzeit mit „ihren Jungs“ die Welt auf den Kopf stellen. Tun sie aber nicht. Und was sie wollen, wenn sie „denen“ mal gezeigt haben wie’s läuft, wird nicht benannt. Ein Gegenmodell zu den Verhältnissen gibt es schlichtweg nicht. Dies alles ist nicht neu. Bereits die Böhsen Onkelz gründeten ihren andauernden Erfolg auf eben diesen Inhalten und dieser Stimmung. Zwischen Größen- und Verfolgungswahn – das ist die Welt der Onkelz und ihrer Fans wie auch der aktuellen Deutschrock-Szene.

Kommt dann doch Kritik, bestätigt sich genau das Gefühl der ewig Verfolgten. „Uninformierte Extremisten“ oder übergenaue „Gutmenschen“, VertreterInnen der political correctness wollen ihnen den Spaß verderben. Denn darum geht es im Kern: Spaß oder auch die Verbindung von Saufen, Gewalt und Gemeinschaft. Sie inszenieren sich als martialische Männer-Gangs, die den Kampf um das Recht des Stärkeren angenommen haben. Das Weltbild ist dabei geprägt von reaktionären Geschlechterbildern, Homophobie, Sexismus und Patriotismus, auch wenn diese selten das Stammtischniveau überschreiten. Dass dies auch ohne explizite extrem rechte Parolen für Neonazis anschlussfähig ist, wird dabei in Kauf genommen. Das Alibi, sich „von jeglichen politischen Spinnern“ loszusagen, soll ausreichen, um Kritik schon im Keim zu ersticken.

Das Skinhead-Oi-Unpolitisch-Label wird dabei auch und vor allem aus pragmatischen Gründen gewählt. Die meisten Personen sind schon etwas älter und haben einen geregelten Alltag. Das gewählte Label hilft dabei, Konzerte öffentlich zu planen, zu bewerben und durchzuführen. Keine Schleusungspunkte auf dunklen Parkplätzen mehr, keine klandestine Struktur für die Anreise, keine – als Geburtstagspartys deklarierten – Grillhütten-Konzerte in der Pampa.

Die Vergangenheit einfach abstreifen?

Dabei lässt ein Blick auf die Konzerte – wie beispielsweise in Lich oder auch in Neunkirchen – einen anderen Eindruck zu. Symboliken, Shirts und Gesten sprechen eine deutliche Sprache. So verwundert es kaum, dass ein beträchtlicher Teil der BesucherInnen vor einigen Jahren noch bei Nazikonzerten in Kirtorf (Vogelsberg) anzutreffen war oder zu den Strukturen gehörten, die diese organisierten. Auch der Mailorder Fankulktur24 ist bei solchen Konzerten mit einem Stand anzutreffen. Der Betreiber musste sich vor einigen Jahren noch wegen des Verkaufs von RechtsRock verantworten. Im Folgenden benannte er seine Mailorder mehrmals um. Ein Grund hierfür könnte sein, dass er immer wieder von antifaschistischen Initiativen oder in Broschüren benannt wurde. Zwar vermied er nach dem Gerichtsverfahren, Kleidung mit allzu offensichtliche Emblemen anzubieten und sich mehr und mehr auf ein Hooligan-Ultra-Fussball-Klientel einzuschiessen. Aber vereinzelt tauchten immer wieder Artikel auf, in denen meist verklausuliert das Weltbild durchschimmerte, beispielsweise ein Shirt mit Zwei Würfeln, deren Augen je eine 8 aufzeigen (also 88).

Überhaupt vermittelt ein Blick in die jüngere Vergangenheit ein recht eindeutiges Bild. Rechtsrock-Konzerte, NPD-Aufmärsche und Neonazicliquen. Davon wollen die meisten heute nichts mehr wissen, verklären es als Jugendsünden oder behaupten sich distanziert zu haben. Dennoch gehen sie gerne mal mit den alten Kameraden auf Kneipentour oder legen schonmal ne alte Platte auf. Zu ihrer Ideologie wollen die meisten nicht stehen oder versuchen sie kleinzureden. Als Grund hierfür ist unter anderem natürlich Pragmatismus zu benennen. Es soll vermieden werden, öffentlich als Nazi stigmatisiert zu werden. Zu groß scheint die Gefahr, mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Ein Blick ins unweite Lumdatal zeigt recht deutlich auf, was antifaschistische Kampagnen, bürgerliches Engagement und nicht zuletzt die von der Polizei ausgehende Repression anrichten können. Dem entgegen steht ein bürgerliches Leben, welches auf jeden Fall unangetastet bleiben soll. Ein Ausstieg sieht anders aus. Für einen Abend in einer rechten Lebenswelt muss man nicht mehr kilometerweit fahren mit dem Risiko, dass das Zielkonzert doch nicht stattfindet oder aufgelöst wird. Das Grauzone-Erlebnis daheim um die Ecke bietet genug.

Bands

Die Bands stehen dem in nichts nach. Mit Extrem Unangenehm hat die Oi-League eine Band im Umfeld, welche die Hälfte der Rechtsrock-Band Gegenschlag in ihren Reihen hat, aber auch die anderen drei Musiker können jeweils eine neonazistische oder zumindest zweifelhafte Vergangenheit aufweisen. Gegenschlag war zu Hochzeiten die Haus-Band der Kameradschaft Berserker Kirtorf. Manager der Band war der Kameradschaftsführer der Berserker. Der Sänger von Extrem Unangenehm findet es scheinbar nach wie vor unproblematisch, ein brennenden Keltenkreuz-Tattoo offen zur Schau zu stellen, nebst seiner Freundin, die mit einer tätowierten White-Power-Faust aufwartet. Bis vor wenigen Wochen war sie in der Berliner Neonaziszene noch aktiv, jetzt – zurück in Hessen – taucht sie (noch) nicht so exponiert in organisierten Neonazistrukturen auf.

Mit Roial Asses besteht eine zweite Band, die zur Oi-League zu zählen ist. Der Name der Band ist wohl an die Platte „Royal Aces“ der Rechtsrock-Band Barking Dogs angelehnt. Der Bassist der Roial Asses ist passenderweise der Präsident der Oi-League, vor ein Paar Jahren ist er noch mit Rechtsrockshirts aufgelaufen. So könnte dies endlos weitergesponnen werden. Überraschend ist es da kaum, dass auf einem Bild vom Konzert in Lich eine Person so mit dem Arm „winkt“, dass da auch andere Assoziationen geweckt werden könnten. Dies alles trägt zu einem Gesamtbild bei, was durch die Nazisticker, die nach dem Konzert in Lich zwischen Kneipe und Bahnhof zu finden waren, abgerundet wird.

Ausblick

Unter diesen Umständen finden regelmäßig Events in der Region statt. Von Konzerten über Partys bis zu Kneipentouren in den Umliegenden Städten. Probleme im Umgang haben die Wenigsten, warum auch. Die Skinheads erklären, dass sie keine Nazis seien, aber auch sonst nichts mit „politischen Spinnern“ zu tun haben wollen. Unter dem Label Deutschrock ist in den vergangenen Jahren ein breites Spektrum an Bands entstanden, die genau dieses Spektrum bedienen wollen: Eine Affinität und/oder Vergangenheit in der Neonazi-Szene, Texte und Musik, die das Lebensgefühl der ewig unterdrückten Einzelgänger und gleichzeitig starken und ungebrochenen Gemeinschaft transportieren. „Heimatliebe“, Tradition, Zusammenhalt, Verbundenheit treten an die Stelle von offenem Rassismus und NS-Bezugnahme. Über das Label „unpolitisch“ will man sich gegen Kritik immunisieren. Eine Strategie, wie sie auch die Südtiroler Band Frei.Wild praktiziert. Völkischer Nationalismus, wie er sich in den Texten wiederfindet, wird zur unpolitischen Heimatliebe und zum bloßen „Gefühl“ deklariert. Dieser Versuch, sich jeglicher politischer Verantwortung zu entziehen, sollte durch genaues Hinhören und Hinsehen immer wieder durchkreuzt werden – bei Frei.Wild wie auch in der übrigen Deutschrock-Szene.

Mailorder Frontal24

Der Mailorder Fankultur24 vertreibt die passende Kleidung für AnhängerInnen der Hessen Oi League. Quelle: Facebook

Hessen Oi League

Das Logo der Hessen Oi League. Quelle: Facebook