»Nazi sein, heißt Leben wollen« – Das Aktionsbüro Mittelrhein (AB Mittelrhein)

Mit dem Aktionsbüro Mittelrhein ist in den letzten Jahren eine neonazistische Kameradschaftsstruktur im nördlichen Rheinland-Pfalz entstanden, deren Aktivitäten auch bis nach NRW hinein wirken. Daher ist es an der Zeit, diese genauer unter die Lupe zu nehmen.

Begonnen hat das Projekt AB Mittelrhein noch unter einem anderem Namen. Im Jahre 2004 trat in verschiedenen neonazistischen Zusammenhängen eine Aktionsfront Mittelrhein (AMR) Erscheinung. Als neonazistische Kameradschaften die bundesweite „Schulhof CD” mit dem Titel „Projekt Schulhof – Anpassung ist Feigheit” veröffentlichten, fungierte die AMR als Kontaktadresse für die Region Koblenz. Im gleichen Jahr beteiligte sich die Aktionsfront an diversen Aufmärschen, beispielsweise am Rudolf-Heß-Marsch in Wunsiedel. Exponiertester Vertreter der Aktionsfront Mittelrhein war Sven Lobeck aus Mülheim-Kärlich bei Koblenz. Der ehemalige Zeitsoldat konnte wegen seiner beruflichen Tätigkeit bei der Bundeswehr erst relativ spät als neonazistischer Kader öffentlich auftreten. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 2006 kandidierte der heute 32-Jährige als einer von drei Vertretern der „Freien Kräfte” auf der Landesliste der NPD. In einer Selbstdarstellung der Kandidaten bezeichnete sich Lobeck als „Betreiber des Aktionsbüros Mittelrhein”. Seitdem war von Auftritten der Aktionsfront nichts mehr zu vernehmen, der Name wurde durch das Label Aktionsbüro Mittelrhein ersetzt. Transparente der AMR wurden verändert, aus Aktionsfront wurde Aktionsbüro. Die Gesichter dahinter blieben dieselben.

Das Aktionsbüro Mittelrhein kann nicht als ein Aktionsbüro im klassischen Sinne betrachtet werden, in dem verschiedene Kameradschaften einer Region vernetzt sind. Vielmehr besteht mit dem AB Mittelrhein als Nachfolgeprojekt der Aktionsfront Mittelrhein seit längerer Zeit wieder eine organisierte Kameradschaftsstruktur, die im Hinterland zwischen den Städten Bonn und Koblenz ihr Unwesen treibt.

Das Büro

Als Schwerpunkt der Aktivitäten kann der Großraum Ahrweiler bezeichnet werden. In Orten wie Sinzig, Bad-Neuenahr und Remagen finden sich eine Vielzahl von neonazistischen Sprühereien und Aufklebern, die einen direkten Bezug zum AB Mittelrhein haben. In der Gestaltung und inhaltlichen Ausrichtung ihres Propagandamaterials versuchen die Betreiber erst gar nicht, sich in irgendeiner Form als gemäßigt oder moderat zu präsentieren. „Nazi sein, heißt leben wollen” lautet das Motiv eines Aufklebers, welches mit passender NS-Illustration versehen ist. Bei ihrem „Nazi sein” ist das Aktionsbüro maßgeblich in die Organisation von alljährlichen Aufmärschen in der Region involviert. So zuletzt am 21. November 2009 in Remagen unter dem Motto „Besiegt! Besetzt! Gedemütigt und systematisch belogen!”. Anlass für die Neonazis, in Remagen aufzumarschieren, sind die Rheinwiesenlager für deutsche Kriegsgefangene, die dort von Frühjahr bis Spätsommer 1945 existierten. Die Neonazis behaupten, dort habe eine „systematische Ermordung deutscher Menschen” stattgefunden.

Im Jahr zuvor, am 12. Juli 2008, war die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn im Visier der Neonazis, die auf der Internetseite des AB Mittelrhein auch schon mal als Prüfstelle für „judengefährdende” Medien bezeichnet wurde.

Der offene Bezug zum NS und ein unverhohlener Antisemitismus wird auch auf etlichen überregionalen Aufmärschen zu Schau getragen. So präsentieren sich Mitglieder des AB Mittelrhein in T-Shirts mit dem plumpen Wortspiel „Rhein Ahrische Jugend” und mit einem gelben Transparent, welches einen Davidstern mit der Inschrift „Nazi” zeigt.

Das Aktionsbüro Mittelrhein kann in keinem eindeutigen Lager der extremen Rechten verortet werden. Auf der einen Seite bestehen personelle als auch organisatorische Verflechtungen zur NPD. So ist Sven Lobeck Vorsitzender des Kreisverbandes der NPD Koblenz. Weiterhin leistete das AB Mittelrhein regelmäßig Wahlkampfhilfe, beispielsweise bei der Durchführung und dem Schutz von Informationsständen. Auf der anderen Seite sind die Entwicklungen der letzten Jahre innerhalb des neonazistischen Spektrums auch nicht an der Region Mittelrhein vorbeigegangen. Dementsprechend lassen sich durchaus Style-Elemente und Aktionsformen wiederfinden, die den „Autonomen Nationalisten” zugerechnet werden. Trauermarsch und „Spontandemonstration nationaler Jugendlicher”, Seitenscheitel, Nazi-Skinheads und trendy Black-Block-Outfit: Scheinbar keine Widersprüche.

Organisatorisch bestehen zwar gute Verbindungen zwischen dem AB Mittelrhein und rheinland-pfälzischen Kameradschaftsstrukturen wie den Nationalen Sozialisten Mainz-Bingen, doch ist eine klare Orientierung in Richtung NRW zu erkennen. Neben einer direkten Vernetzung zu Neonazis aus der Region Bonn um die Kameradschaft Sturm 8/12 bestehen gute Kontakte in den Raum Düren und Aachen zur Kameradschaft Aachener Land, zu den Freien Nationalisten Siegerland sowie an den Niederrhein.

Neue Kader

„Die Professorenschaft begrüßt es ausdrücklich, dass bei den studentischen Wahlen zwei aktive Neonazis, die kandidiert haben, nicht in die Gremien gewählt worden sind.” Dies geht aus einer Stellungnahme von Professoren des Fachbereiches Betriebs- und Sozialwirtschaft des Rhein-Ahr Campus in Remagen vom Dezember 2009 hervor. Grund für das Schreiben war die versuchte Kandidatur der beiden Studierenden David Herrmann und Christian Häger für das Studierendenparlament der in Remagen ansässsigen Fachhochschule. Häger und Herrmann waren schon zu Zeiten der Aktionsfront Mittelrhein aktiv und sind auch heute in die Strukturen des AB Mittelrhein involviert. Lange Zeit war es in erster Linie Sven Lobeck, der nach außen einen Führungsanspruch geltend machte, doch rücken in der letzten Zeit weitere Protagonisten in den Vordergrund. Insbesondere ist dabei der 25-jährige Christian Häger zu nennen, der als Ordner auf neonazistischen Aufmärschen auftritt und dabei auch an vorderer Stelle Koordinierungsaufgaben wahrnimmt. Neben seiner Funktion als aufstrebender Neonazi-Kader ist Häger in der Region unter anderem als Schwimmtrainer beim Turn und Sportverein Ahrweiler aktiv. Auf der Homepage des Vereins wird seine „freundlich souveräne Art“ gelobt, mit der „er auch die Kleinsten motivieren und den Spass am Schwimmen vermitteln” kann.

Entwarnung für Rechtsrockkonzerte?

Regelmäßig sind in neonazistischen Internetforen Berichte über Konzerte und Liederabende zu finden, die in der Region stattgefunden haben. „Da wir schon öfters im Raum Ahrweiler an Veranstaltungen teilnahmen, konnten wir uns schon denken, dass wieder alles professionell organisiert war”, freuen sich die Freien Nationalisten Euskirchen über ein „störungsfreies Konzert” im Februar 2008. Dort traten unter anderem die RechtsRock-Bands Sad but true aus dem Raum Leverkusen/Solingen und Exitus auf. Mit letzterer existiert eine Band aus der Region Ahrweiler, deren Mitglieder aus dem direkten Umfeld des AB Mittelrhein stammen.

Ein weiteres Konzert verlief allerdings nicht ganz so störungsfrei. In Westum/Sinzig mietete sich ein Neonazi für den 15. November 2008 in die Stadthalle ein, um dort angeblich seinen Geburtstag zu feiern. Gegen 23 Uhr löste die Polizei die Veranstaltung mit der Begründung auf, es lägen Erkenntnisse vor, nach denen dort ein „rechtsextremistisches Konzert unter Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts” stattfinden würde. Die Polizeidirektion Koblenz gab am 20. Januar 2009 in der Rhein-Zeitung allerdings Entwarnung für die Region: „Weit mehr als die Hälfte der rund 80 Teilnehmer stammten nicht aus dem Kreis Ahrweiler, sondern überwiegend aus Nordrhein-Westfalen”. Dieses Statement ist exemplarisch für den Umgang seitens der staatlichen Behörden.

Rheinland-pfälzische Linie

Wie reagieren die Behörden auf die offensiv und selbstbewusst auftretenden Neonazis? Auf der Homepage des Aktionsbüros Mittelrhein werden immer wieder Berichte über Hausdurchsuchungen oder „Anquatschversuche vom Innenministerium” veröffentlicht. Polizei und Verfassungsschutz äußern sich im Gegensatz dazu wenig bis gar nicht zum AB Mittelrhein. Auch im Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz für das Jahr 2008 taucht es nur einmal auf. Und dies ausgerechnet im Bereich „Linksextremismus”: „In Mülheim/Kärlich wurden von einer so genannten Initiative ‘Schöner Leben ohne Nazis’ Ende April 2008 in der Nachbarschaft eines Rechtsextremisten mehrere Flugblätter per Briefkasteneinwurf mit der Überschrift ‘Der Nazi von Nebenan …’ verteilt, die diesen als Funktionär der NPD und Betreiber eines ‘Aktionsbüro Mittelrhein’ outeten. Anfang Oktober 2008 wurde das Auto derselben Person, das in der Nähe seiner Wohnung geparkt war, durch unbekannte Täter erheblich beschädigt.”

Ansonsten ist dort nichts über das AB Mittelrhein zu finden, obwohl von den Neonazis im Jahr 2008 Aufmärsche in Bretzenheim (Nähe Mainz) und Bonn mit organisiert wurden, in den Jahren zuvor im Rhein-Lahn-Kreis (Marienfels, Nassau und Nastätten) sowie in Koblenz.

Dieses ist „Linie” in Rheinland-Pfalz. Das Problem wird systematisch heruntergespielt und verharmlost, während Polizei und Behörden sorgsam darauf bedacht sind, ihre Deutungshoheit zu bewahren. So werden in den jährlichen Verfassungsschutzstatistiken niedrige Zahlen angegeben, für das Jahr 2006 etwa die Anzahl der „überwiegend organisierten Neonazis” mit 75. Der interne Telefonverteiler des neonazistischen Aktionsbüros Rhein-Neckar führte jedoch just zu dieser Zeit knapp 150 Personen alleine aus der Kurpfalz und der Vorderpfalz auf.

Fragwürdiges Problembewusstsein

In der Region gibt es ein fragwürdiges Problembewusstsein: Die Behörden mit ihren Statistiken deuten „Rechtsextremismus” lediglich als ein Problem für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Um die Jahreswende 2008/09 versuchten Neonazis in Remagen eine „national befreite Zone” zu schaffen, es kam vermehrt zu Übergriffen auf alternative Jugendliche. Gegen diese Zustände und die „deutliche Zunahme rechtsradikaler Aktivitäten und die erstarkende rechte Szene im Raum Remagen” organisierten engagierte Jugendliche am 14. Februar 2009 eine antifaschistische Demonstration. Die Polizei trat dieser Darstellung deutlich entgegen: Sie könne „tätliche Auseinandersetzungen nicht ausschließen”, so Polizeisprecher Ralf Schomisch, es sei ihnen aber „nichts bekannt”. So sei die „Rechte Szene im Kreis unauffällig” und liege „auf vergleichsweise unauffälligem Niveau, was Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund” anbelange. Problem hingegen sei, dass es im Sommer 2008 „Unruhe in Remagen durch Punkerszene” gegeben habe, doch „diesem Phänomen sind Polizei und Ordnungsamt gemeinsam vehement entgegengetreten, sodass recht schnell wieder Normalität hergestellt werden konnte”.

Wie sehr sich die Neonazis an der Demonstration störten, zeigt sich daran, welcher Aufwand betrieben wurde, um die Demonstration zu verhindern: Jugendliche wurden bedroht, Hetzflugblätter vor Ort verteilt und Artikel unter falschen Gruppennamen auf der linken Internetplattform indymedia veröffentlicht, die die Mobilisierung verhindern sollten.

Ausblick

Was bleibt, ist ein ernüchterndes Fazit: Es ist nicht nur der problematische Umgang seitens der Behörden, die die Öffentlichkeit schlichtweg nicht informieren. In der Region ist auch ein Mangel an zivilgesellschaftlichen Strukturen zu beklagen, die sich kontinuierlich mit Neonazismus auseinandersetzen. Jugendliche, die diese Zustände nicht hinnehmen wollen, erhalten keine Unterstützung bei ihrem antifaschistischem Engagement. Stattdessen werden ihnen Steine in den Weg gelegt. Nicht verwunderlich also, dass sich die Neonazis in das rheinland-pfälzische Hinterland zurückziehen, wo sie ein selbstbewusstes Auftreten an den Tag legen. Wie offensiv die Neonazis auftreten und wie sie sich selbst inszenieren, zeigt ein aktuelles Beispiel: „Alternatives und sozialkritisches Wohnprojekt in der Mitte des Ahrtal’s” heisst es bei Twitter, einem Online-Netzwerk. Dort firmiert unter dem Label „ws_17” das „braune Haus Neuenahr”. Dabei handelt es sich um ein gemietetes Wohnhaus mit Garten, das Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein und deren Umfeld im Januar 2010 bezogen. Es ist noch zu früh, um beurteilen zu können, ob hier gerade ein neuer Kristallisationspunkt entsteht, von dem aus Impulse in die Neonazi-Szene gehen oder ob sich die Neonazis beim gemeinsamen Wohnen an inneren Konflikten wie verschiedenen Lebensweisen aufreiben. Unter den Bewohnern finden sich Neonazis, die eine veganen und drogenfreien (straight edge) Lifestyle propagieren, was schon andernorts zu szeneinternen Auseinandersetzungen geführt hat. Wie auch immer: Es deutet einiges auf weitere Aktivitäten hin: So wurde im Februar diesen Jahres „neben den Vorbereitungen für den Trauermarsch in Dresden” auch ein „Trainingsraum verputzt”.

Von Andreas Stein und Tobias Hoff

Erschienen in: Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen,  #38 | Frühjahr 2010