Aufklärung ist Silber, Schweigen ist Gold

Ein Gastbeitrag von Simon Schneider

Verfolgt man die Strategie rheinland-pfälzischer Behörden im Umgang mit militanten Neonazi-Strukturen in den letzten Jahren, so erkennt man recht schnell, dass Informationen gezielt zurückgehalten und Aktivitäten lange Zeit geleugnet wurden.

Ein Bericht über das Aktionsbüro Mittelrhein, ultrarechte Jugendkultur an der Mittelmosel sowie deren Verbindungen zur NPD in Rheinland-Pfalz.

Am 13. März 2012 durchsuchten über 300 Polizistinnen und Polizisten in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg Wohnungen und Häuser von bekannten Neonazis. Der Schwerpunkt der Razzien lag dabei auf einer kleinen Stadt im nördlichen Rheinland-Pfalz, Bad Neuenahr-Ahrweiler. Das Ergebnis des Einsatzes wurde schon am Mittag veröffentlicht: 24 Haftbefehle sowie Ermittlungen gegen 33 Personen – u.a. wegen Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruch und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Betroffen sind Mitglieder sowie Unterstützerinnen und Unterstützer der Kameradschaftsstruktur Aktionsbüro Mittelrhein (ABMR), die sich seit dem 20. August 2012 vor dem Landgericht Koblenz verantworten müssen.

Das Aktionsbüro Mittelrhein…

Mit eigenem Wohnprojekt in Bad Neuenahr-Ahrweiler, das sie zynisch als „Braunes Haus“ bezeichneten, agierte bis zum 13. März genau diese Kameradschaft nahezu ungestört und von staatlicher Seite lange Zeit geleugnet. Das ABMR, im Jahr 2004 gegründet als Aktionsfront Mittelrhein, trat erstmals 2006 als Aktionsbüro Mittelrhein in Erscheinung. Schon vor der Gründung der Aktionsfront Mittelrhein besuchten deren spätere Mitglieder gemeinsam Demonstrationen in der Region, beispielsweise am 22. November 2003 in Marienfels.
In den letzten Jahren entwickelte sich das ABMR zu einer der aktivsten Kameradschaften in Westdeutschland. Seit 2009 organisiert(e) es in Remagen jährlich den größten Naziaufmarsch in Rheinland-Pfalz. Als Anlass dienen die Rheinwiesenlager, ehemalige Kriegsgefangenenlager der Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs, wo – seriösen Schätzungen nach – 5.000 bis 10.000 deutsche Soldaten starben. Mit der Rede von über einer Millionen Toten versucht das ABMR zusammen mit anderen Neonazis jährlich, die Gräueltaten Nazideutschlands zu relativieren, die Rolle von Täterinnen bzw. Tätern und Opfern werden gezielt verdreht. Dieser offene Bezug zum Nationalsozialismus wird durch die Verherrlichung der NSU-Morde, plumpen Antisemitismus und rassistische Slogans ergänzt. So sind auf einem Einladungs-Flyer zu einer Party unter dem Motto „2 Jahre Braunes Haus-Bad Neuenahr – Jetzt knallt’s richtig“ die Buchstaben NSU farblich hervorgehoben, ein Gruppenbanner zeigt den Wortlaut „Nazi“ inmitten eines Davidsterns, Mitglieder posieren in Pullovern mit der Aufschrift „Rhein-Ahrische Jugend“. Dass das ABMR besonders für politische Gegner_innen und Andersdenkende eine Gefahr darstellte, zeigen, neben einer Vielzahl von Übergriffen und Einschüchterungsversuchen, Waffenfunde bei Führungs-personen wie Sven Lobeck und die Tatsache, dass Mitglieder des ABMR im Jahre 2011 an einem Waffentraining in Osteuropa teilnahmen. Auch die sogenannte Anti-Antifa-Arbeit gehörte zu einem der Hauptbetätigungsfelder des ABMR. Dass dabei von einer neuen Qualität gesprochen werden kann, lässt ein Fall vermuten: Nach Informationen der Rhein-Zeitung wurde am Auto eines vermeintlich linken Journalisten ein Peilsender angebracht.

… seine Rolle in der überregionalen Neonaziszene

Über Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen hinaus spielt das ABMR eine entscheidende Rolle in der Neonaziszene in Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen. So stellte es mittels Lautsprecherwagen – im vergangenen Jahr zum Beispiel in Frankfurt – sowie Fronttransparenten – wie im März 2011 in Koblenz und Trier – einen wichtigen Teil der Infrastruktur von Versammlungen. Ebenso wurde bei der Mobilisierungstour zum „nationalen Antikriegstag“ in Dortmund – einem der größten Naziaufmärsche sogenannter „Autonomer Nationalisten“ – Bad Neuenahr-Ahrweiler als einzige rheinland-pfälzische Stadt angefahren.

… und der staatliche Umgang mit ihm

Antifaschistische Gruppen wiesen in den vergangenen Jahren mehrmals auf die Aktivitäten und das Bestehen des ABMR hin. 2007 versorgte der Verfassungsschutz die Landesregierung mit falschen Informationen, so dass das Innenministerium Rheinland-Pfalz ein Bestehen des ABMR vor Ende 2007 leugnete. Der Verfassungsschutz selbst erwähnte Neonazistrukturen rund um das ABMR erstmals 2008 in seinem Bericht. Dies allerdings mit nur zwei Sätzen und zudem wegen eines Outings eines ABMR-Mitglieds durch Antifaschist_innen im sogenannten Bereich des „Linksextremismus“. Erst 2010 kam der Verfassungsschutz zu der Erkenntnis, dass sich „im nördlichen Rheinland-Pfalz […] das „Aktionsbüro Mittelrhein“ gebildet [hat], das über Kontakte in das südliche Nordrhein-Westfalen verfügt”. 2011 wurde es dann als kriminelle Vereinigung eingestuft.
Am eingangs erwähnten 13. März 2012 änderte sich diese passive Strategie der rheinland-pfälzischen Behörden mit der Stürmung des „Braunen Hauses“ durch ein Sondereinsatzkommando und den zahlreichen Festnahmen und Ermittlungsverfahren. Somit ist das ABMR erstmals – seit mehr als sieben Jahren – durch staatliche Behörden stark geschwächt worden und aufgrund der hohen Anzahl an Festnahmen quasi zerschlagen. Dass Informationen allerdings deutlich früher zugänglich waren, zeigen die Aktivitäten antifaschistischer Gruppen. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Veröffentlichungen, die auf das ABMR hinwiesen, schon Anfang 2009 fand in Remagen eine Demonstration gegen die Kameradschaft statt, an der sich über 150 Antifaschist_innen beteiligten.

„Rheinland-pfälzische Linie“ bestätigt sich beim Aktionsbüro Mittelrhein

Dass staatliche Behörden militante Neonazistrukturen in Rheinland-Pfalz leugnen und verschweigen, ist bedauerlicherweise kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel ist die Chaos Crew (CC), eine Gruppe, die sich an das in Deutschland verbotene Blood & Honour-Netzwerk anlehnt, in dieses international vernetzt ist und Neonazi-Konzerte im Kreis Bernkastel-Wittlich bei Trier sowie im angrenzenden Ausland organisiert.
Allein in den Jahren von 2008 bis 2010 veranstaltete die CC mindestens neun konspirativ organisierte Konzerte und Partys, zwei davon wurden durch die Polizei aufgelöst. Dies und die Tatsache, dass die meisten Konzerte in den Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz aufgeführt sind, zeigt deutlich, dass die Behörden von den Konzerten wussten. Informationen bezüglich einer regional gefestigten Gruppe wurden aber nicht veröffentlicht und der Name Chaos Crew wird ebenfalls in keinen Berichten erwähnt. Hingegen wurden die Konzerte zu Einzelfällen stilisiert. Im September 2010 teilte dann das Polizeipräsidium Trier mit, dass es in der Region „mit Ausnahme der NPD [keine] erkennbar organisierte rechte Szene“ gebe.
Die antifaschistische Zeitung Lotta veröffentlichte nur einen Monat später ausführliche Rechercheergebnisse und Informationen über die CC, Hauptakteurinnen und -akteure wurden sogar namentlich genannt. Gehandelt wurde seitens der Behörden allerdings nicht.
Erst Ende 2011 räumte ein Staatsschützer aus der Region die Existenz der aus „50-60 Anhänger[n] [bestehenden] Chaos Crew“ ein, die „international gut vernetzt“ sei.
Diese Vernetzung in das internationale Blood & Honour-Netzwerk zeigt sich daran, dass auf einem Gedenkkonzert für den Blood & Honour-Mitbegründer Ian Stuart in London ein eigenes Transparent mit der Aufschrift ihres Gruppennamens zur Schau gestellt werden durfte und ein Konzert in Spanien besucht werden konnte, an dem insgesamt nur 70 (!) Besucher_innen teilnahmen.

Selbstdarstellung vor Hakenkreuzfahne und Hitlerbild: Ein Neonazi mit Jacke der Chaos Crew. Quelle: Facebook

Mitglied der Chaos Crew präsentiert das Logo der Gruppe. Quelle: werkenntwen

Verbindungen zwischen der Chaos Crew und dem Aktionsbüro Mittelrhein

Ein Indiz für eine Verbindung zwischen ABMR und CC bildet die Rechtsrockband Exitus, die dem direkten Umfeld des ABMR zuzuordnen ist. In der Vergangenheit spielte sie auf mehreren Konzerten der CC.
Ein weiteres bedeutsames Indiz ist die Tatsache, dass im Oktober 2010 acht Neonazis einen Aussteiger aus der Neonaziszene nach Höhr-Grenzhausen (Westerwald) zu einer Grillhütte lockten und ihn fast zu Tode schlugen. 2011 wurden dann sieben Männer und eine Frau vorläufig teils zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, der Prozess wird allerdings aufgrund von Verfahrensfehlern neu aufgerollt.
Unter den Haupttätern befindet sich einer der Hauptakteure der CC. Somit saßen zeitweise nicht nur Neonazis des ABMR hinter Gittern, sondern ebenso mindestens drei Mitglieder des überschaubaren engen Kreises der CC.
Auch in diesem Fall lassen sich Verbindungen zum ABMR finden: Ein Beschuldigter war Mitglied des ABMR, wurde allerdings aufgrund umfassender Aussagen, mit denen er andere Neonazis massiv belastet hatte, aus der U-Haft entlassen. Laut ihrer Internetseite hat ihn das Aktionsbüro daraufhin aus „allen nationalen Zusammenhängen entfernt“.
An einer Solidaritätsdemonstration für das ABMR im August 2012 in Koblenz, kurz vor Beginn des Prozesses gegen das Aktionsbüro, nahmen auch Mitglieder der CC und Neonazis aus ihrem Umfeld teil.

Einladung zur Geburtstagsfeier: Exitus, die Hausband des Aktionsbüro Mittelrhein, wird für ein Konzert der Chaos Crew in Belgien angekündigt.

… sowie beidseitige Verbindung zur NPD Rheinland-Pfalz

Die NPD Trier mit ihrem Vorsitzenden Safet Babic, der ebenso stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Rheinland-Pfalz ist, fiel besonders in den Jahren 2010 und 2011 durch gezielte Annäherungsversuche an die CC auf. Ein Konzert der CC, das von der Polizei geräumt und unterbunden wurde, konnte nur wenige Wochen später unter dem Deckmantel einer Wahlkampfveranstaltung der NPD nachgeholt werden. Babic lobte sogar die gute Zusammenarbeit mit der „weit über die Region bekannten Chaos Crew“ auf der Internetseite der NPD Trier.
Profitiert haben wohl beide, sowohl die NPD als auch die CC. Einerseits erhoffte sich Babic wohl potenzielle Wählerinnen und Wähler und gefestigte Strukturen im ländlichen Raum, der CC eröffnete sich ein legaler Rahmen zur Durchführung ihrer Konzerte. Dass das Abkommen funktionierte, zeigte sich nicht nur an den nachgeholten Konzerten, sondern ebenso daran, dass an mindestens zwei Aufmärschen der NPD Trier im Jahr 2011 Mitglieder der CC anwesend waren.
Eine Verbindung von ABMR und NPD Rheinland-Pfalz findet sich ebenfalls. So ist das Führungsmitglied des Aktionsbüro Mittelrhein Sven Lobeck – seit der Verhaftungswelle in Untersuchungshaft – Vorsitzender der NPD Koblenz und laut Babic auch Beisitzer im Landesvorstand der NPD Rheinland-Pfalz.
Auch Safet Babic, der in der Vergangenheit Aufmärsche des ABMR besuchte, erwähnte die Festnahmewelle in einem Interview mit dem Trierischen Volksfreund und bedauerte, dass ihm die Mitglieder des Aktionsbüro auf Demonstrationen „jetzt zum Teil wohl fehlen [werden]“.
Mehrere Mitglieder des NPD Kreisverbands Trier unterstützten die Demonstration für das ABMR im August diesen Jahres in Koblenz – mehr noch:  Babic hielt sogar die Abschlussrede.

Safet Babic besucht zusammen mit Mitgliedern der Chaos Crew einen Naziaufmarsch in Alzey. Foto: Peter Juelich/ip-photo.com

Eine Distanzierung von militanten Kräften wie der CC oder dem ABMR schwebt dem NPD-Landesvize und dem Rest seiner Partei wohl nicht vor. Ebenso hat sich durch viel zu spätes Reagieren der Behörden sowie Verschweigen und Leugnen neonazistischer Aktivitäten gezeigt, dass staatliche Organisationen keine effiziente Arbeit leisten. Umso nötiger sind daher Bildungs- und Informationsarbeit antifaschistischer Strukturen. So veranstaltete ein antifaschistisches Bündnis am 24. März eine Demonstration unter dem Motto „Keinen Tag länger das Braune Haus“, um das Problem der Kameradschaftsstruktur des ABMR im Allgemeinen und das mit ihr verbundene Wohnprojekt, das „Braune Haus“, im Besonderen in die Öffentlichkeit zu tragen. Über 300 Antifaschist_innen setzten ein Zeichen gegen Neonazismus und forderten die Schließung des „Braunen Haus“. Dies wurde am 16. August schließlich Realität, als das „Braune Haus“ nach einer gerichtlichen Einigung zwischen Mieter und Vermieter geräumt wurde.