Mit § 129 StGB gegen Neonazistrukturen – Anklage gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“

Am 18. August 2012 zogen Neonazis mit einem Zitat von Sven Skoda auf dem Transparent durch Koblenz. Links im Bild: Christian Worch. (Foto: Fabian Boist)

Wir dokumentieren hier einen Beitrag, der von uns für das Antifaschistische Infoblatt geschrieben wurde und in der aktuellen Ausgabe erschienen ist.

Im März vergangenen Jahres wurden in vier Bundesländern bei über 30 Neonazis Hausdurchsuchungen durchgeführt. Ziel war das neonazistische „Aktionsbüro Mittelrhein“, dessen 26 Mitglieder anschließend wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung“ vor dem Landgericht Koblenz standen. (Vgl. AIB Nr. 94)

Den 7. Januar 2014 werden einige Neonazis in positiver Erinnerung behalten: An dem Tag schlossen sich die Tore der JVA Koblenz vorerst zum letzten Mal hinter ihnen. Damit wurden nach knapp 22 Monaten die letzten sieben Angeklagten des Verfahrens gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABMR) aus der Untersuchungshaft entlassen.

Zwischenfazit zu einem der größten Prozesse gegen Neonazis der letzten Jahrzehnte

Die Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz musste die Angeklagten, darunter den Neonazi-Funktionär Sven Skoda, den früheren NPD-Kreisvorsitzenden Sven Lobeck und den Neonazi-Aktivisten Christian H., ziehen lassen, da eine längere Untersuchungshaft unverhältnismäßig zu der zu erwartenden Strafe sei. Damit ist die Strategie der Verteidigung in einem wichtigen Punkt aufgegangen: Auf der einen Seite werden fast pausenlos die Angeklagten thematisiert, die unter dem „unnötig langen“ Prozess leiden würden, auf der anderen Seite wird das Gericht mit einer Flut von Anträgen überschwemmt, die den Prozess in die Länge ziehen sollen. Die Absicht ist klar: Der Prozess soll platzen, ohne dass es zu einem Urteil kommt.

Es sind bzw. waren eine ganze Reihe von (Szene)- AnwältInnen in die Verteidigung eingebunden, darunter Nicole Schneiders (Ettlingen, Baden-Württemberg) und Olaf Klemke (Cottbus), die beide Ralf Wohlleben im NSU-Prozess in München verteidigen; Steffen Hammer, der frühere Sänger der RechtsRock-Band „Noie Werte“; Dirk Waldschmidt, ehemals im Vorstand der hessischen NPD und in der Vergangenheit selbst schon im Visier der Staatsanwaltschaft Koblenz; Andre Picker, Hausanwalt der Dortmunder Neonazi-Szene; Hans-Otto Sieg aus Frankfurt der Wert darauf legt, dass er auch schon Linke verteidigt habe sowie der frühere Republikaner-Funktionär Björn Clemens aus Düsseldorf, der mit tief ins Gesicht gezogener Mütze am letzten neonazistischen „Trauermarsch“ im November 2013 in Remagen teilnahm. Clemens war damit mit seiner Mandantschaft auf der wichtigsten Neonazi-Demonstration der Region und das direkt vor den Augen der Staatsanwaltschaft, die die Versammlung aufmerksam beobachtete.

Vor allem aus ihren Reihen wird im Gerichtssaal Stimmung gemacht, der Staatsanwalt auf persönlicher Ebene angegangen und Antrag um Antrag gestellt.

Einer der Hauptangeklagten hingegen hat keinen Szene-Verteidiger: Sven Skoda lässt sich vom bekannten Düsseldorfer Anwalt Udo Vetter verteidigen. Vetter hat einen guten Ruf als Strafverteidiger, er trat bei Veranstaltungen des Chaos Computer Club (CCC) auf und war Bundestagskandidat für die Piraten Partei. Beim Thema Prozess stößt er ins selbe Horn wie die Szene-AnwältInnen: er beklagt die „unnötig verlängerte Untersuchungshaft“ und dass die Angeklagten vor dem „Trümmerhaufen ihrer privaten Existenz“ stünden.

Dies trifft nicht auf alle Angeklagten zu. Obwohl der Prozess noch läuft und ein Ende noch nicht abzusehen ist, sind einige der Neonazis schon zielstrebig dabei, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, wie das Beispiel eines Angeklagten aus dem kleinen Westerwaldörtchen Asbach zeigt:

Dem studierten Informatiker Michael D. wird vorgeworfen, für die interne Anti-Antifa-Datenbank des Aktionsbüros verantwortlich gewesen zu sein. Daneben war er bei der Kameradschaft „Sturm 08/12“ aktiv und pflegte seit Jahren enge Kontakte zu dem Neonazi-Funktionär und früheren NPD-Kandidaten Ralph Tegethoff. Nach eigenen Angaben hat er im Oktober 2013 in Koblenz ein Studium aufgenommen und spezialisiert sich im IT-Bereich. Bei ihm kann keine Rede davon sein, dass er wegen seiner jahrelangen Aktivitäten, der Untersuchungshaft und dem Verfahren in seinem Dorf gesellschaftlich isoliert ist: Eine einschlägige Facebook-Seite, die den vermeintlichen „Justizskandal“ in Koblenz anprangert, erfreut sich dort an Beliebtheit. Auch der Bürgermeister hatte zwischenzeitlich auf „gefällt mir“ geklickt.

Unter den insgesamt über 50 AnwältInnen sind viele, die bisher weder durch größere Verfahren noch durch Verteidigungen von Neonazis aufgefallen sind. Einige von ihnen lassen sich von der Stimmung der Szene-AnwältInnen anstecken. So verbreitet die Strafverteidigerin Kerstin Rüber aus Koblenz auf ihrer Homepage ein von Björn Clemens geschriebenes Gedicht über den Prozess, das sich in Neonazikreisen an Beliebtheit erfreut. Einem der Angeklagten wird darin wegen seiner Aussagen im Prozess „Zusammenhalt und Ehre“ abgesprochen.
Gegen vier Angeklagte, die der Szene den Rücken gekehrt hatten und umfangreiche Aussagen machten, ergingen bereits im November 2013 erste Urteile. Ihr Verfahren wurde abgetrennt, zwei bekamen Haftstrafen von 18 bzw. 21 Monaten die zur Bewährung ausgesetzt wurden, die zwei anderen eine Bewährungszeit von zwei Jahren ohne Haftstrafen.

Es ist damit zu rechnen, dass Gericht und Staatsanwaltschaft versuchen, weitere Verfahren abzutrennen. So wird der Prozess Stück für Stück übersichtlicher und der Druck auf diejenigen, die bisher weder Reue noch Zusammenarbeit erkennen lassen, wird durch die Aussagen der anderen erhöht. Auch der ehemalige Neonazi-Funktionär Axel Reitz hatte sich offenbar überlegt, dass er nicht die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen möchte. Er sagte zwar aus, doch bisher war wenig Brisantes dabei.

Die extreme Rechte beobachtet den Prozess sehr genau

Es wird sich mit den Angeklagten solidarisiert, die „hart bleiben“ und „die Klappe halten“, Sven Skoda wird geradezu als „Märtyrer“ verklärt. Die neonazistische Partei „Die Rechte“ ruft am 15. März 2014 unter dem Motto „Zusammenhalt ist unsere Stärke – Gegen Repression und Behördenwillkür – Solidarität mit Sven und den anderen“ zu einer Demonstration auf.

Verschiedene einschlägige rechte Zeitungen wie „ZUERST!“ berichteten über den Prozess. Das Gericht scheint im Umgang damit überfordert zu sein: Auf der linken Homepage indymedia tauchten Fotos auf die zeigten, dass Neonazis mit NSDAP-Symbolik im Gerichtssaal saßen.
Besonders für Belastungszeug_innen ohne eigenen Rechtsbeistand ist die Situation im Gerichtssaal unerträglich. Einige Neonazi-AnwältInnen taktieren, ihre Mandanten hätten sich nur gegen die Antifa gewehrt, die gehöre auf die Anklagebank. Aussagen können sich so über mehrere Sitzungstermine erstrecken. Im Publikum dominieren an vielen Prozesstagen die angereisten Neonazis, da von antifaschistischer Seite keine Prozessbeobachtung stattfindet.

Der § 129 StGB

Im nördlichen Rheinland-Pfalz versuchen die Behörden seit Jahren, neonazistische Organisationen mit dem §129 StGB zu zerschlagen. Dabei dürfte es der Staatsanwaltschaft weniger um die Möglichkeiten des Ausforschens (etwa mit Telefonüberwachungen) gehen, die der § 129 StGB ermöglicht, sondern um etwas anderes: Mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung muss nicht jedem einzelnen Neonazi eine konkrete Straftat zugeordnet werden, sondern die Mitgliedschaft als solche ist die Straftat. Körperverletzungen und weitere Straftaten kommen bei einzelnen dazu. Knackpunkt ist also, ob die Staatsanwaltschaft nachweisen kann, dass es sich beim ABMR um eine kriminelle Vereinigung handelt – und die Mitglieder sich wegen dieser kriminellen Ziele dem ABMR angeschlossen bzw. es unterstützt haben.

Der aktuelle Prozess wegen Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, des Aktionsbüros Mittelrheins, ist der größte und spektakulärste, aber nicht der erste. In den letzten Jahren waren es mehr als 100 organisierte Neonazis, die in Koblenz vor Gericht standen, ein Großteil davon zeitweise inhaftiert. (vgl. AIB Nr. 94) Trotz dieser Prozesse wiederholen Behörden seit Jahren mantrahaft, dass es kein Problem mit Neonazis im Land gebe. Im Weinkulturland Rheinland-Pfalz, wo Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, soll es keine negativen Schlagzeilen geben. Sorgsam wird darauf geachtet, dass den Behörden die Deutungshoheit nicht entgleitet, empfindlich wird auf kritische Veröffentlichungen und Darstellungen reagiert. Für Beobachter_innen stellt sich die Frage, warum bisher keine ähnlichen Maßnahmen gegen das Aktionsbüro Rhein-Neckar in Ludwigshafen ergriffen wurden. Die dortige Neonaziszene spielt nicht in der Regional-, sondern in der Europaliga und ist mit der Führungsspitze der neonazistischen „Hammerskins“ verstrickt (vgl. AIB 97).

Worch taucht auf

In Rheinland-Pfalz ist es der norddeutsche Neonazifunktionär Christian Worch, der versucht das Thema zu besetzen. Bereits am 18. August 2012 veranstaltete er eine Kundgebung vor dem Gericht. Etwa 200 Neonazis beteiligten sich damals. Vor einigen Monaten wurde der damals noch inhaftierte Sven Skoda als Spitzenkandidat zur Europawahl von Worchs Partei „Die Rechte“ (DR) nominiert.

Bei der für den 15. März 2014 geplanten Demonstration dürften mehrere Neonazis dabei sein, die die JVA Koblenz gut von innen kennen.